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Was mich schon die ganze Zeit stört: Nach dem schrecklichen Kino-Massaker des 24-jährigen James Holmes in der Vorführung von „The Dark Knight Rises“ versuchten die Medien verzweifelt irgendein Motiv oder zumindest einen Anhaltspunkt für die Tat zu finden. So wurde im Internet praktisch jeder noch so kleine Stein umgedreht, um irgendwelche Informationen über James Holmes zu finden. Früher hätte man wohl die Familie oder seine Freunde befragen müssen, heute googlet man einfach nach seinem Namen oder schaut mal bei Facebook nach. Doch sie fanden sehr wenig. James Holmes war laut einigen Berichten kein besonderer Fan von sozialen Medien, sondern dem Thema eher kritisch gegenüber eingestellt. Unter anderem hinterließ er wohl einen Kommentar, in dem er sich besorgt darüber zeigte, was wohl die Medien schreiben würden, sollte er eines Tages in den Fokus der Ermittlungen wegen einer Schießerei kommen. Ironie des Schicksals oder plante er einfach nur voraus?

Doch anstatt nun zu schreiben, dass man nichts genaues sagen könne, weil es über diesen Mann keine ausreichenden Informationen gibt (wäre ja auch langweilig), dreht man die Tatsache, dass man nichts gefunden hat, so hin, als hätte man damit praktisch alles über ihn gefunden. Das klang dann auf Spiegel Online sinngemäß (überdrehte Interpretation von mir) etwa so: „Der Mann hat keinen Facebook-Account! War ja klar, dass mit dem was nicht stimmt. Wie kann so etwas passieren, dass jemand keinen Facebook-Account hat? Vor allem so ein gebildeter junger Amerikaner wie er, was ist da schiefgelaufen, dass er sich der wundervollen Welt der sozialen Netzwerke verweigert hat?“. Welches kranke Mistschwein hat denn bitte auch keinen Facebook-Account? Nur Psychopathen, Pädophile, und andere Leute die was zu verheimlichen haben. Manche machen sich die Welt wohl wie sie ihnen gefällt.

Was ich mich in der Folge seither immer öfter frage: Wenn ich mal (selbstverständlich fälschlicherweise) das Zentrum der medialen Berichterstattung und polizeilicher Aufklärungsarbeit werden sollte (was ich nicht hoffe), was würde man über mich schreiben, bei dem Quatsch, den ich hier so veröffentliche? „Der 28-jährige Informatiker beschäftigt sich in seiner Freizeit vorrangig mit brutalen Killerspielen wie Diablo 3, Super Mario Bros und Daggerfall, vornehmlich aber mit Spielen, die über 20 Jahre alt sind. Dies beweist, dass er im Kopf zurückgeblieben ist. Außerdem kritisiert er öffentlich Facebook, spricht über total kranke Themen wie Datenschutz, und ist Anhänger der Raubkopierer-Piratenpartei, und er hat nichtmal eine Freundin, haha. Das alles spricht dafür, dass er ein Triebtäter und ein Psychopath ist. Dass so einer irgendwann durchdreht, hätte wohl jedem klar sein müssen, auch seinen zwei Freunden. Achja, und er hört gerne Chiptune. Was auch immer das ist. Muss so eine Psychopathenmusik sein.“.

Ernsthaft jetzt. Was glauben diese Hobbypsychologen da eigentlich, was sie erzählen? Zeig mir welche TV-Serien und welche Filme du gerne schaust und ich sag dir, ob in dir ein kleiner Amokläufer schlummert? Sogar auf Twitter und Facebook versucht man inzwischen „Faktoren“ in den Textbeiträgen der Nutzer zu bestimmen, die dafür sprechen, ob jemand eine tickende Zeitbombe ist. Angeblich benutzen solche Leute verstärkt die Vergangenheitsform von Verben und verwenden sinnlose Füllwörter. Oh, oh, da kenne ich aber welche, die machen das auch so. Von denen sollte ich mich künftig fernhalten. Den Artikel gibt’s wirklich, kein Scherz. Paranoia nennt man sowas. Jeder könnte eben ein potentieller Amokläufer sein.

Achja, Sommerloch nennt man sowas auch noch. Immer wenn es nichts zu berichten gibt, dann schafft man sich seine Themen eben einfach selbst.

Im Übrigen: Alles Gute zum Sysadmin Day, liebe Systemadministratoren/innen!

Ich lese die Artikel von Spiegel Online eigentlich immer ganz gerne mal, aber nach einem Artikel dort letzte Woche zum überraschenden Ergebnis der Piratenpartei bei den Landtagswahlen in Berlin, zweifle ich an der journalistischen Kompetenz der Online-Redakteure. Ich war mir jedenfalls dabei etwas unsicher ob ich lachen oder weinen sollte. Ich spreche von dem Artikel „Berliner Piratenpartei – Jung, dynamisch – frauenfeindlich?“ von Florian Gathmann und Annelie Naumann – jung, dynamisch – piratenfeindlich?

Man muss kein Piratenwähler sein, um zu merken, dass das nichts weiter als ein erbärmlicher und verzweifelter Versuch ist, den Piraten nur irgendwie ans Bein zu pinkeln. Der Artikel ist so schlecht und hetzerisch, dass es schon peinlich ist. Herr Gathmann und Frau Naumann bezeichnen die Piraten darin als „Machoverein“ und als frauenfeindlich – und zwar weil bei den Piraten zuwenig Frauen sind. Zum schmunzeln bringt mich die Tatsache, dass ein Artikel über die angebliche Frauenfeindlichkeit der Piraten von zwei Personen verfasst wird, deren Nachnamen auf „-mann“ enden. Wer einen solch frauenfeindlichen Nachnamen hat, muss ein Frauenfeind sein.

Dabei würden die Piraten sofort den roten Teppich ausrollen, wenn dadurch die Aussicht auf mehr weibliche Mitglieder bestünde. Die Piratenpartei setzt sich eben noch zu einem großen Teil aus IT-Leuten und Naturwissenschaftlern zusammen und dort ist der Anteil Frauen bekanntlich auch nicht gerade überragend. Das liegt höchstwahrscheinlich an der Frauenfeindlichkeit der Informatiker. Kaum sind die Piraten mit gerade mal 15 Leuten ins Landesparlament eingezogen, wird eine Frauenquote gefordert. Wie wärs wenn ihr den Jungs erstmal Zeit gebt, sich selbst mit dieser Wahlüberraschung auseinanderzusetzen?

Lächerlich ist auch, dass die Autoren den Eindruck erwecken möchten, als würde es Frauen zusätzlich schwerer gemacht, sich bei den Piraten zu engagieren. Selbstverständlich sind die Männer schuld, wenn die Frauen sich nicht aktiv beteiligen. Die Piraten halten eine Unterteilung in Männer und Frauen für überholt. Der Kommentar der Autoren hierzu: „Das klingt modern – ist es aber nicht.„. Und wer hat die eigentlich zum Richter darüber ernannt, was modern ist und was nicht? Ich finde das durchaus modern. Überhaupt, wieso müssen da jetzt wieder die Feministen und Feministinnen aus ihren Löchern kriechen? Die Piraten sind noch nicht mal etabliert und Frauen sind herzlich eingeladen Mitglied zu werden und sich aktiv für Themen einzusetzen, die ihnen wichtig sind. Eine Frauenquote zu fordern, kaum da die Piraten die ersten Früchte ihrer Arbeit ernten, ist jedenfalls alles andere als modern. Das kann ich doch wohl mindestens ebensogut beurteilen wie die beiden Spiegel-Redakteure.

Ich meine, es ist eine Sache die Piraten für ihr Parteiprogramm zu kritisieren. Damit habe ich gar kein Problem, wenn die Kritik berechtigt und konstruktiv ist. Aber es ist eine andere Sache sie aus völlig hanebüchenen Gründen zu verteufeln: „Bei den Piraten gibt es zuwenig Frauen, also muss die Partei frauenfeindlich sein“. Muss das sein? Nice try, idiots.

Jeder der jetzt mit dummen Sprüchen à la „Welches Parteiprogramm?“ anfangen wollte, darf meinetwegen zur Hölle fahren. Informiert euch, es schadet nicht. Für eine so junge Partei ist das Programm schon recht umfangreich. Wer Piratenwähler flamen möchte, braucht diesen Artikel weder zu lesen noch zu kommentieren.