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Ein großes Dankeschön an Gerry, meinem geschätzten Mit-Atarianer und Thalion-Veteranen, der mich gerade noch rechtzeitig auf eine auslaufende Ebay-Auktion aufmerksam gemacht hat. Eine solche Rarität findet man wahrscheinlich nur alle paar Jahre mal, daher musste ich sofort zugreifen. Zu Anfang hoffte ich noch, dass ich schon für 6 Euro den Zuschlag bekäme, aber da habe ich nicht mit den anderen Nostalgikern gerechnet, wegen der ich etwas tiefer in die Tasche greifen musste. Am Ende gelang mir der große Coup mit knapp unter 40 Euro. Ja, viel Geld für alten Kram. Wenig Geld für einen echten Fan. Aber wovon spreche ich überhaupt? Ach, es geht eigentlich nur um den ultimativen Atari ST Public Domain Klassiker: Bolo

bolo_bolowerkstatt

Eine meiner aller-aller-aller-ersten Spieleerfahrungen hängt mit dem Breakout-Klon „Bolo“ von 1987 zusammen. Damals war ich wohl gerade so in der Lage, die Maus zu bewegen ohne dass sie vom Tisch fiel, und die Gefahr bestand bei diesem Spiel durchaus. Bolo – das etwas andere Ball(er)spiel – dürfte man eigentlich kaum Klon nennen, weil es das Original-Spielkonzept um so wahnsinnig viele Elemente erweitert, dass es die Idee auf ein völlig anderes Niveau hebt. Ich kann nicht betonen, wieviele unglaublich spannende (und auch frustrierende) Stunden ich damit erleben durfte. Dieses Spiel hat mich schon sehr früh geprägt, meine Ansprüche und Erwartungen an die Spielewelt entscheidend beeinflusst. Selbstredend hat sich seitdem viel getan, aber ich erwarte auch heute noch, dass eine große Portion Spielwitz eingebracht und viel Liebe zum Detail bei der Entwicklung von Spielen an den Tag gelegt wird, genau so wie das Meinolf Schneider vor etwa 27 Jahren getan hat, als er Bolo im Jahr 1986 zunächst für den auf dem 68000er von Motorola basierenden (wenig bekannten) Gepard Computer entwickelte, und dann für den damals brandneuen Atari ST veröffentlichte.

Die größte Besonderheit von Bolo war die beeindruckende Vielzahl an verschiedensten Steinen, die sehr geniale Physiksimulation, die den Spieler am Schläger den Widerstand beim Anschlagen beinahe spüren ließ, das Gewicht des (unterschiedlich großen) Balles, die dynamische Schwerkraft, die Menge an Levels und die wundervollsten grafischen Effekte, wenn es z.B. explosive Steine in alle Richtungen zerfetzt. Mir fallen nicht genug Superlative ein, um dieses Spiel ausreichend zu würdigen. Über den als Megaghost bezeichneten Antagonisten kann ich leider nicht das Geringste erzählen, denn Bolo war mir leider zu schwer. Wenn man 50 Levels am Stück erfolgreich durchgespielt hat, soll er wohl erscheinen. Einmal hatte ich knapp 20 Levels geschafft. Die klobige Atarimaus, deren Kugel ständig im Gehäuse hängenblieb, hat mir die Schwerstarbeit im Kampf gegen die Schwerkraft kaum abnehmen können.

Als Meinolf Schneider noch für das Label der Application Systems Heidelberg entwickelte, nannte er sich Dr. Mausklick, so wie das auch den Rückseiten der Plastikhüllen zu entnehmen ist. Ich bin begeistert wie gut erhalten die beiden Schachteln sind, sogar der Sticker wurde noch nicht verwendet, und das DIN A2-Poster mit den Levelbildern wurde offenbar auch noch nicht aufgehängt. In der zweiten Schachtel steckt die „Bolo Werkstatt“, also der Leveleditor, einschließlich gedruckter Kurzanleitung. Die Hülle ist dabei exakt dieselbe wie beim Spiel, mit einem zusätzlichen aufgeklebten „Werkstatt“-Schriftzug. Und als wäre das nicht schon toll genug, sind selbst die Preisetiketten noch auf der Packung, die beide Produkte mit 69,00 DM auszeichnen. Dieser fantastische Neuzugang geht direkt in meine virtuelle Vitrine.

Ich nehme mir mal die Freiheit, hier ein kleines Gameplay-Video von YouTube einzufügen, um das Spiel zu demonstrieren. Man sollte allerdings einschränkend dazu erwähnen, dass der Spieler hier nicht allzu talentiert ist. Außerdem zeigt das Video nur äußerst wenig von der Vielfalt, die die Levels bieten können.

[youtube]http://youtu.be/NTG3CAD-s_4[/youtube]

Für das grenzenlose Glück fehlt mir jetzt eigentlich nur noch ein originalverpacktes Esprit für den Atari ST, also dem Vorgänger von OXYD. Falls jemand zufällig darüber stolpert, oder sein eigenes Exemplar für einen guten Preis verkaufen möchte – bitte nicht zögern, E-Mail an mich. Im Idealfall ist noch alles so in der Verpackung wie es verkauft wurde, aber ich nehme auch weniger guterhaltene Spiele. Ich bin mal gespannt, was sich in den kommenden Monaten und Jahren noch so an Gelegenheiten ergeben wird. Vielleicht komme ich ja wirklich noch dazu, einen kleinen Dongleware-Schrein aufzustellen.

Zum Aufwärmen nach meiner Pause beginne ich mit einem weiteren Artikel für die begeisterten Thriller- und Shocker-Spieler, also die Fans der Atari-ST-Spiele von Martin Hintzen und Jürgen Verwohlt. Die angesprochene Zielgruppe wird die etwas verdutzt dreinblickende Fratze des Mad Martin aus „Shocker“ und „Shocker 2“ sicherlich kennen. Als ich letztes Jahr das Privileg hatte, mit dem Entwickler Martin Hintzen ein telefonisches Interview über seine Spieleproduktionen zu führen, da verneinte er die Frage, ob es irgendeine äußerliche Ähnlichkeit zwischen ihm und Mad Martin gäbe. Leider versäumte ich es, genauer nachzuhaken, wie es zu der eigenartigen grafischen Kreation kam.

Krank dahinsiechend und zu allem Übel ganz ohne Internetzugang, völlig abgeschnitten von der Zivilisation, ließ ich mich kürzlich dazu hinreißen, in einigen uralten Jahrgängen vergilbter Computerzeitschriften zu blättern, als mir etwas höchst Interessantes ins Auge stach: In einigen Ausgaben der Zeitschrift „Computer Kontakt“ lachte mich das charakteristische Gesicht von Mad Martin an – genauer gesagt in der Anzeige eines Atari-Softwareversandhandels aus Bretten, der heute bestimmt nicht mehr existiert.

diaboloversand2

Der Laden nannte sich „Diabolo-Versand“ und war laut Anzeigentext offenbar der Versand mit den teuflischen Preisen. Witzigerweise liegt Bretten ja quasi hier bei mir um die Ecke. Für einen Augenblick dachte ich, dass sich da wohl jemand am Design des Mad Martin ausgetobt, ihm eine Perücke, einen Anzug, und einen festen Job im Versandhandel verpasst hatte, damit er sein Geld mit ehrlicher Arbeit verdienen konnte, und nicht mehr mit skrupelloser Weltraumtyrannei. Allerdings folgte sofort die Einsicht, dass das eher unwahrscheinlich war: Die besagten Anzeigen waren im Jahr 1987 erschienen, also bereits fünf Jahre vor der Veröffentlichung von Shocker.

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Wer ist also dieser Mad Martin und woher kommt er? Vielleicht werden wir es nie erfahren. Das Herumstöbern in so richtig alten Computerzeitschriften ist übrigens total interessant. Da werden aus unserer heutigen Sicht völlig veraltete Geräte und Schnee von vorgestern als der große technologische Durchbruch präsentiert, was bei mir immer eine Mischung aus Nostalgie und unfreiwilliger Komik erzeugt. Nett fand ich auch, als ich entdeckte, dass in deutscher Software Mitte der 80er Jahre der „Cancel“-Button nicht mit „Abbrechen“, sondern oft mit „IRRTUM“ beschriftet war.

In der nächsten Folge dieser investigativen Dokumentarreihe sehen Sie: Mad Martin als Bäcker.