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Nehmt euch ein Zimmer

seelenDie Menschheit hat ein Problem: Außerirdische übernehmen nach und nach die Körper aller Menschen, und auf die letzten Überlebenden wird – unter der Leitung der „Sucherin“ (Diane Kruger) – systematisch Jagd gemacht. Eine kleine Gruppe von Widerstandskämpfern, zu der auch die junge Melanie (Saoirse Ronan) und ihr Freund Jared (Max Irons) gehören, will sich die Erde zurückerobern. Bei dem Versuch ihren kleinen Bruder vor einer Patrouille zu schützen, wird Melanie geschnappt und ihr Körper von einem außerirdischen Wesen, dem „Wanderer“, beseelt. Mit seiner Hilfe sollen ihre Gedanken ausgehorcht und so das Versteck der letzten Menschen gefunden werden, doch Melanie, jetzt Gefangene in ihrem eigenen Kopf, gelingt es, den Wanderer zur Flucht zu überreden. In Gestalt von Melanie wird der Wanderer im Versteck ihres Onkels Jeb (William Hurt) misstrauisch empfangen. Weil viele den Verlust von Melanie bedauern, bauen sie eine Freundschaft zu „Wanda“, wie sie nun genannt wird, auf. Jared fühlt sich betrogen als Wanda und der verwegene Ian (Jake Abel) schließlich Gefühle füreinander entwickeln. Doch das sind Nebensächlichkeiten als die Sucherin das Versteck aufspürt.

Die Idee, dass uns Außerirdische besuchen und in Gestalt unserer Mitmenschen auf der Erde wandeln, ist in Kreisen der Filmemacher so neu freilich nicht. In dem Kult-Horrorstreifen „Die Körperfresser kommen“ wird die Thematik als prominentes Beispiel fantastisch in Szene gesetzt. Der Regisseur Andrew Niccol versucht sich mit der Verfilmung des von der Vampirschmachtreihe „Twilight“ bekannten Bestsellerautorin Stephenie Meyer geschriebenen „Seelen“ an einer cineastischen Vermischung besagten Horrorszenarios mit der irrationalen, hormongesteuerten Welt der Teenagerliebe – also genau dasselbe (Erfolgs-)Konzept wie schon bei Twilight. Anstatt dem Vampirfilm-Genre ein ums andere Mal mit Begeisterung die spitzen Zähne abzufeilen, wird hier zur Abwechslung Liebe zwischen Menschen und Außerirdischen propagiert.

Elementarer Baustein der Handlung ist Melanies Schizophrenie, die eine gewisse Vielschichtigkeit und einen nervenaufreibenden Machtkampf der beiden Identitäten andeutet, sich aber schon nach kurzer Zeit darauf beschränkt, in welchen Jungen Melanie bzw. Wanda nun eigentlich verliebt sein darf. Ihr innerer Widerstand gegen den Eindringling resultiert zwar in einer Vielzahl an durchaus interessanten Mono-/Dialogen, doch in vielen Szenen gehen mir ihre durchdringenden Zwischenrufe aus dem Off, die über ein „Lass das!“ oder „Hör auf damit!“ selten hinausgehen, eher auf die Nerven. Immerhin begibt sich der Film in philosophische Tiefsinnigkeit über die destruktive Natur des Menschen und – angesichts der Tatsache, dass es um die Spaltung bzw. Verbindung von Körper und Geist geht – die Frage, was denn eine Person grundsätzlich ausmacht. Dies gelingt ausgesprochen gut.

Für die jungen Hauptcharaktere aus dem Film scheint es nur wenig Romantischeres als eine Alien-Invasion auf der Erde zu geben, denn anders kann man sich kaum erklären, wieso Melanie/Wanda ständig dabei ist, mit den Herren der Schöpfung herumzuknutschen. Das sind wohl die Stellen, an denen man sich kurz selbst daran erinnern müsste, dass „Seelen“ auch ein Liebesfilm ist, denn er kann das mit seinem Setting recht gut kaschieren, selbst wenn das nicht seine Absicht ist. Die sterile emotionslose Gesellschaft der menschgewordenen Außerirdischen entführt schnell die Aufmerksamkeit des Zuschauers.

Saoirse Ronan, bekannt unter anderem aus Peter Jacksons Drama „In meinem Himmel“ und dem Thriller „Hanna“, blüht in der Rolle der roboterhaften Wanda verständlicherweise nicht immer auf, dafür besteht andererseits auch keine Gefahr, dass sie die Figur überspielt. Ihre durchaus sehenswerte Leistung muss sich hier mit einem William Hurt und einer Diane Kruger vergleichen lassen, die viel von ihrem Handwerk verstehen und das auch so rüberbringen, was nur zum Vorteil von „Seelen“ ist. Der Soundtrack von Antonio Pinto gehört nicht zu seinen besten, übertrifft aber noch bei weitem die Klasse, die für einen solchen Film nötig ist.

Fazit: Nicht überall wo Stephenie Meyer draufsteht, sind auch Vampire drin: „Seelen“ ist eine gutgemachte, einigermaßen glaubwürdige, wenn auch reichlich pubertäre Genre-Mixtur nach bewährtem Rezept. Der Schwenk von bekanntem Fantasy-Terrain hin zu typischer Science-Fiction ist kein Reinfall und auch keine Offenbarung, aber es ist schön zu sehen, dass man sich gelegentlich auch noch Experimente zutraut.

netzkino.deVor einigen Monaten schon berichtete ich über ein kostenloses bzw. werbefinanziertes legales deutsches Filmstreaming-Portal, dessen Jugendschutz-Restriktionen im besten Fall peinlich sind. In dümmlichstem „CNetz“-Gutmenschentum werden dort Filme, die keine Jugendfreigabe haben, erst ab 23 Uhr gestreamt, und nur bis 6 Uhr morgens. Für die einen ist es „nur“ Entmündigung erwachsener Bundesbürger, allein damit Jugendliche (die um diese Zeit ohnehin ins Bett gehören) nicht noch versehentlich einen Horrorfilm anklicken, für die anderen ist es Internetkrebs, der früher oder später Metastasen erzeugt und wahrscheinlich im Endstadium sowas wie Ladenöffnungszeiten im Internet hervorbringt. Aber andererseits schaut man einem geschenkten Gaul bekanntermaßen nicht ins Maul.

Im folgenden nun eine Liste von 35 Filmen, die ich in den letzten paar Monaten legal auf netzkino.de komplett angesehen habe, chronologisch aufsteigend sortiert. Manche davon sind wirklich gut, andere sind ziemlicher Schund. Insgesamt habe ich schon so halbwegs darauf geachtet, die ganz schlimmen Gurkenfilme zu vermeiden, und stattdessen weitestgehend (mit Ausnahmen) die filmischen Rosinen herauszupicken. Also nur falls sich nun jemand fragt, was die dort denn noch so alles anbieten. Um das mal in Kennzahlen auszudrücken: IMDb-Ratings von unter 4.0 findet man da sehr häufig. Was tut man nicht alles, um sein filmisches Wissen zu erweitern.

  1. Clockwise – In letzter Sekunde (1986)
  2. Five Corners – Pinguine in der Bronx (1987)
  3. City of Sex (1988)
  4. Dead Ringers – Die Unzertrennlichen (1988)
  5. Time to kill (1989)
  6. Wings of Freedom (1989)
  7. The Bloody Cottage in the Forest (1991)
  8. No Surrender – Schrei nach Gerechtigkeit (1992)
  9. Unter Haien in Hollywood (1994)
  10. Amy Foster – Im Meer der Gefühle (1997)
  11. Der Musterschüler (1998)
  12. Future Sport (1998)
  13. Lieber gestern als nie (1998)
  14. Permanent Midnight – Voll auf Droge (1998)
  15. Animal Farm (1999)
  16. Ich liebe Dick (1999)
  17. The Runner (1999)
  18. Animal Factory (Rache eines Verurteilten) (2000)
  19. Ordinary Decent Criminal (2000)
  20. The 6th Day (2000)
  21. Love Bites (2001)
  22. Waking up in Reno (2002)
  23. Kids in den Strassen New Yorks (2006)
  24. Noise (2007)
  25. 3 und raus! (2008)
  26. Edison & Leo (2008)
  27. Pontypool (2008)
  28. Strictly Sexual – Endlich Sex!!! (2008)
  29. A fork in the road (2009)
  30. Jack im Reich der Riesen (2010)
  31. Absentia (2011)
  32. Michael (2011)
  33. Tyrannosaur – Eine Liebesgeschichte (2011)
  34. We need to talk about Kevin (2011)
  35. Gedemütigt in Ketten – Nackt und hilflos (2012)

scrubs1Erinnert sich noch wer an „Biing!“ und „Theme Hospital“? Beides leider nicht besonders bekannte Krankenhaussimulationen, aber beide gehen das eigentlich sehr ernste Thema Krankheit bzw. Krankenhaus auf eine sehr humoristische Weise an. Während es in Bullfrogs Aufbauspiel, wie der Name schon sagt, um den Aufbau, also die räumliche Komponente ging, war Biing! eine reinrassige Wirtschaftssimulation, in der man sich hauptsächlich mit den Finanzen beschäftigte – und mit den heißen Krankenschwestern.

Aber ich wollte ja gar nicht schon wieder auf irgendwelche Spieleklassiker zu sprechen kommen. Trapper John M.D., Grey’s Anatomy, Dr. House, General Hospital, Doogie Howser M.D., St. Elsewhere, Emergency Room – die Liste der Krankenhaus- bzw. Arztserien ist heute nicht mehr allzu kurz. Auch in der von mir vor drei Jahren besprochenen Serie „Becker“ mit Ted Danson in der Hauptrolle geht es um einen verbitterten Allgemeinmediziner und seine kleine Arztpraxis. Doch wahrscheinlich in keiner dieser Serien ist die Spanne zwischen Albernheit und Ernst so groß wie in Scrubs – Die Anfänger.

Warum ich mir nun ausgerechnet jene Serie anschauen wollte, ich weiß es nicht mehr. Tatsächlich war ich eigentlich nie über die Maßen begeistert, wenn mal eine Episode auf Pro7 lief. Aber bekanntlich lässt sich leicht lästern, wenn man die einzelnen Folgen ohne Gesamtzusammenhang und ohne Charakterentwicklung nebenher anschaut. Als mir Scrubs dann schließlich zum drölften Mal empfohlen wurde, da nahm ich das Angebot einfach an. Zum einen kann ich mich hinterher wieder einer Sci-Fi-Serie widmen, da mein „Ausflug“ hiermit vorerst beendet ist, zum anderen sind Serien doch immer besser, wenn man von Anfang an dabei ist.

Scrubs umfasst neun Staffeln, von denen man die ersten acht Staffeln als die Hauptserie betrachten kann, da sie im fiktiven Sacred Heart Hospital spielen und alle Hauptfiguren permanent dabei sind. Die neunte Staffel hat viele Charaktere eingebüßt und spielt an einem Universitätskrankenhaus, das auf dem Grundstück des abgerissenen Serienkrankenhauses errichtet wurde, wenn ich das richtig verstanden habe. Zudem gibt es eine zwölf Episoden umfassende Webserie namens Scrubs: Interns, die parallel zur achten Staffel spielt.

scrubs2Die drei Hauptcharaktere sind John „J.D.“ Dorian und sein bester Freund Chris Turk, sowie Elliot Reid, die gemeinsam ihr Medizinstudium abgeschlossen haben und als Assistenzärzte in besagtem Krankenhaus ihre Medizinerkarriere beginnen. Unterstützt (oder behindert) werden sie dabei von der Krankenschwester Carla Espinosa, Chefarzt Dr. Kelso und dem soziopathischen Stationsarzt Dr. Cox. Bereits früh in der Serie zeichnen sich die viel zu offensichtlichen Charakterpairings J.D.-Elliot und Turk-Carla ab. Während letztere quasi die ganze Serie hindurch zusammen sind, entwickeln J.D. und Elliot eine ermüdende On-Off-Beziehung, die schwer nachvollziehbar ist, da J.D. sich in jeder Hinsicht als beziehungsunfähig erweist, weil er nur haben will, was er im Moment nicht haben kann.

Einen besonderen Bezug scheint Scrubs zur Sitcom „Friends“ zu haben, was mir aufgefallen ist, weil mit Matthew Perry und Courteney Cox in jeweils unterschiedlichen Episoden zwei Friends-Stars eine Gastrolle hatten. Außerdem wurde in einer Folge erklärt, dass im Krankenhaus ein Dr. Ross und eine Dr. Rachel arbeiten. Andererseits gibt es mit Courteney Cox und Jordan (der Freundin von Dr. Cox) auch einen Bezug zur Serie „Cougar Town“. Über einen Auftritt von Michael J. Fox als Dr. Kevin Casey habe ich mich sehr gefreut.

Der namenlose Hausmeister von Scrubs entzückt auf seine verschrobene und rücksichtslose Art viele Fans der Serie. Auch ich fand ihn zu Anfang ganz witzig, fand aber ebenso, dass er sich über die acht Staffeln irgendwann als Running Gag stark abnutzt. Überhaupt finde ich, dass der Humor der Serie mit der Zeit langweilig wird. Die größte Besonderheit macht meines Erachtens aber aus, wie gut die Serie die Balance zwischen albernem Witz und Dramatik bei Todesfällen hält. Tatsächlich gibt es da eine denkwürdige Episode, in der einem hoffnungslosen Patienten die Angst vor dem Tod genommen werden soll, und worin sachlich erklärt wird, wie das Sterben im Allgemeinen abläuft. Es ist beeindruckend zu sehen, wie souverän Scrubs mit so einem schwierigen Thema umgehen kann.

Nette Kinderbuchverfilmung mit unheimlicher Puppe

legendevonpinocchioAls dem einsamen Puppenschnitzer Gepetto (Martin Landau) im Wald scheinbar zufällig ein Holzklotz vor die Füße fällt, beschließt er, daraus eine neue Holzpuppe zu schnitzen. Pinocchio (Jonathan Taylor Thomas), wie er die liebevoll gefertigte Marionette tauft, wird kurz darauf lebendig, und stellt das Leben des überraschten Gepetto gehörig auf den Kopf. Angetrieben von seiner schrecklichen Neugier und dem Wunsch, ein richtiger Junge zu werden, bringt Pinocchio seinen Vater in haarsträubende Situationen, und schließlich sogar vor die Anklagebank. Um einer langen Gefängnisstrafe zu entgehen, überlässt Gepetto dem windigen Geschäftsmann Lorenzini (Udo Kier) seine einzigartige Holzpuppe, der mit Hilfe dieser neuen Attraktion das große Geld machen will. Gepettos Jugendliebe Leona (Geneviève Bujold) kann ihn davon überzeugen, gemeinsam nach Pinocchio zu suchen. Dieser treibt sich inzwischen in einem merkwürdigen Vergnügungspark herum…

Steve Barron führte bei dieser Realverfilmung von 1996 Regie. Das Kinderbuch des italienischen Schriftstellers Carlo Collodi erlangte erst mit Hilfe des zweiten abendfüllenden Zeichentrick-Kinofilms der Walt Disney Pictures breite internationale Berühmtheit. Schon mindestens drei Generationen dürfte Pinocchio bekannt sein als verzauberte Marionette, die keine Fäden hat und die lieber ein richtiger Junge als ein Holzspielzeug wäre. Und dafür, dass seine Nase länger wird, wenn er lügt. Barrons Inszenierung orientiert sich stärker an der übersichtlicheren, etwas friedlicheren Disney-Fassung als am Buch. Um einen schwachen Versuch von Romantik in den Film einzubringen, wurde die Figur der Leona entworfen. Gepetto, der sich unbedingt einen Sohn wünscht, und Leona nehmen somit gemeinsam die Elternrolle für Pinocchio ein.

Jim Hensons Name gilt in der Branche üblicherweise als Gütesiegel für hochwertige Puppeneffekte, doch muss man Pinocchio vielleicht einfach als Ausnahme von der Regel betrachten: Das einzig Überzeugende an ihm ist die Mimik, allerdings wirkt das auf Erwachsene weniger süß als mehr unheimlich. Pinocchios betont menschliche Erscheinung leidet ein wenig am „Uncanny Valley“-Effekt. Sein Aussehen und seine Bewegungen wirken nicht künstlich genug für die Augsburger Puppenkiste, und nicht menschlich genug für ein Kind. Die Kombination aus Stop-Motion-, Bluebox- und animatronischen Effekten wirkt nicht billig, aber andererseits auch nicht allzu beeindruckend. Computergrafik wurde hauptsächlich für die animierte Grille Pepe verwendet. Jene Szenen entsprechen zwar irgendwo dem Stand der Technik von 1996, wirken aber dennoch sehr aufgesetzt und entbehrlich, schon da Pinocchio mit der Grille nicht richtig interagiert.

Schauspielveteran Martin Landau holt wahrscheinlich das Bestmögliche aus seiner Rolle heraus, und so sind Gepetto und Lorenzini die beiden stärksten Charaktere des Films. In die Rolle des letzteren schlüpft der bekannte B-Movie-Kultdarsteller Udo Kier, der mit seiner exzentrischen undurchsichtigen Ausstrahlung eigentlich dafür prädestiniert ist, als Bösewicht gecastet zu werden. Seine beiden Handlanger, ähnlich wie im Buch als Fuchs und Katze dargestellt, werden gespielt von Hollywood-Hampelmann Rob Schneider und Bebe Neuwirth, und bringen der Besetzung entsprechend eine eher alberne Komponente in den Film ein. Geneviève Bujold hat nur einige wenige Szenen, die kaum der Rede wert sind. Musikalisch bekommt der Film mit Stevie Wonder und Brian May etwas prominente Unterstützung. Leider kommen die Songs, ebenso wie der Score von Rachel Portman im Film sehr wenig zur Geltung.

Fazit: Steve Barrons Pinocchio ist ein fast rücksichtsloser Frechdachs, den man womöglich eine Spur kindgerechter hätte gestalten sollen. Einige Schwächen und Logikschnitzer muss man dem Drehbuch ebenso verzeihen, wie etwa die Szene, in der Pinocchio vom Wal verschluckt wird, und seinen Ziehvater absurderweise genau in diesem Wal vermutet. Bleibt nur zu sagen, dass „Die Legende von Pinocchio“ vielleicht nicht gar so zauberhaft wie sein Disney-Pendant ist, aber allemal ein netter, leicht verdaulicher Kinderfilm, der ohne viel Spannung auskommt.

Zwei Edelsteine auf Zeitreise

rubinrot_altSchulstress, Pickel oder Liebeskummer sind für die rebellische Gwendolyn (Maria Ehrich) eigentlich das kleinste Problem. In ihrer sonderbaren Familie dreht sich alles nur um ihre bornierte Cousine Charlotte (Laura Berlin). Während sämtliche Familienmitglieder schon sehr gespannt darauf warten, dass sich ein vererbter Gendefekt bei Charlotte endlich in Form einer Zeitreise bemerkbar macht, stellt Gwendolyn entsetzt fest, dass eigentlich sie die Trägerin dieses Gens ist, und findet sich prompt im London des frühen 20. Jahrhunderts wieder. Soweit alles ganz normal. Gezwungenermaßen als Ersatz für ihre Cousine wird die völlig unvorbereitete Gwen von einer zwielichtigen Zeitreise-Sekte für eine geheime Mission rekrutiert. Gemeinsam mit dem gutaussehenden Gideon (Jannis Niewöhner) soll sie – der Rubin – dabei helfen, das Blut von zwölf Zeitreisenden in einer Zeitmaschine zu sammeln, um eine Prophezeiung zu erfüllen. Allerdings scheint das mit der Prophezeiung nicht jeder für eine gute Idee zu halten…

„Rubinrot“ ist eine diesjährig veröffentlichte deutsche Filmproduktion von Felix Fuchssteiner, eine Literaturverfilmung nach dem gleichnamigen Jugendroman von Kerstin Gier. Zeitreisen stellen das zentrale Thema der Geschichte dar, daneben wie erwartet Liebe und das Erwachsenwerden mitten in London. Gwendolyn ist in dem Film die Auserwählte, die nicht auserwählt werden wollte, und so wird sie in ein Abenteuer geschickt, das sie initial weder versteht noch unterstützt. Das Problem mit dem Zeitreise-Hintergrund der Handlung ist, dass dieser viel Potenzial bietet, wie es schon von einigen berühmten Filmwerken wirklich gut auf die Leinwand gebracht werden konnte, was dann auch eine unbewusste (vielleicht ungerechte) Erwartungshaltung erzeugt. Tatsächlich werden Zeitreisen hier unspektakulär und unproblematisch dargestellt. Dass eine Zeitreise in die Vergangenheit etwa Auswirkungen auf die Gegenwart haben könnte, wird zwar erwähnt, aber es wird leider versäumt, dies überhaupt in irgendeiner Szene zu demonstrieren. Eine Zeitreise ist hier einfach eine Reise an einen eigentlich unzugänglichen Ort.

Etablierte und überzeugende deutsche Filmschauspieler wie Josefine Preuß, Gottfried John und Veronica Ferres bilden einen angenehmen Kontrast zu den Nachwuchstalenten, und zu der für das deutsche Kino gewohnt mäßigen Schauspielqualität. Der Film ist bemüht, sich auf alltagssprachlichem, jugendlichem Niveau zu bewegen, bringt aber vereinzelt merkwürdige Dialoge hervor, die zu den Charakteren nicht so recht passen wollen. So wie die etwas unglaubwürdigen Textzeilen von Gwens Schulfreundin Leslie, die sich in ihrer Darstellung gerade noch mit GZSZ messen kann. Jannis Niewöhners Darbietung des abenteuerlustigen Zeitreisepartners Gideon kann sich dagegen sehen lassen. Die historischen Kostüme und Sets wirken sehr authentisch. Auch sind die Kampfszenen von Gideon einigermaßen gut choreographiert. Als tolle Idee nahm ich die Begegnung von Gwen mit ihrem längst verstorbenen Großvater zur Kenntnis, der ihr zu Lebzeiten bei einer ihrer Zeitreisen noch begegnet ist, er also als einziger früher über ihren genetischen Umstand Bescheid wusste. Leider ist diese Szene so kurz, dass sie kaum ihre Wirkung entfalten kann.

Ohne sich zuvor mit der Thematik der literarischen Vorlage oder ihres Umfangs vertraut zu machen, ist spätestens nach der Hälfte der Spieldauer klar, dass es auf eine mehrteilige Filmreihe hinausläuft. Längst zuviele Charaktere, zuviele angedeutete Verschwörungen, und bei weitem zuviele Geheimnisse und unentdeckte übernatürliche Fähigkeiten werden in die Handlung eingeführt. So ist es dann auch keine Überraschung, dass „Rubinrot“ sich zum Finale hin gar nicht bemüht, Licht ins Dunkel zu bringen, sondern den Zuschauer mit einem halbgaren Ende und zum Abspann mit jeder Menge offener Fragen sitzen lässt.

Fazit: Der Film reißt eine ganze Reihe mehr oder weniger okkulter Bereiche im Zusammenhang mit einem uralten Geheimbund an, darunter Geister, Telekinese, Gedankenlesen, Magie und Zeitreisen. Diese Fülle an klassischen Fantasy- und Science-Fiction-Elementen wirkt dick aufgetragen und unterstreicht in diesem Fall: Weniger ist manchmal mehr. So scheint „Rubinrot“ ein bisschen wie eine verquere Mischung einer zeitreisenden Harry Potterin und Twilight ohne Vampiren und Werwölfen zu sein. Dennoch funktioniert der Film als Liebesgeschichte mit klischeeträchtigem Finale, das versucht zwei Streithähne in Turteltauben zu verwandeln, sogar ganz gut.