Retro

Torsten Fenslau @ Dorian Gray April 1990

Kennt jemand das Gefühl, wenn man in einem staubigen Karton auf dem Dachboden seine alten Musikkassetten mit Radiomitschnitten aus seiner Kindheit und Jugend findet? Wer noch ein funktionierendes Kassettendeck oder einen Walkman findet und sich die Mühe macht, die Bänder einzulegen, der wird mitunter geflasht von sehr seltsamen, aber bewegenden Eindrücken aus längst vergangenen Tagen. Ich bin süchtig nach diesem Gefühl.

Wer Anfang der 90er Jahre zumindest hin und wieder mal das Radio eingeschaltet hat, dem ist die Musik von Torsten Fenslau sicher nicht unbekannt. Fenslau war unter anderem das kreative Genie hinter der erfolgreichen Gruppe Culture Beat. Seine Musik komponierte er auf einem Atari ST. Kaum war ihm mit dem überraschenden Megahit „Mr. Vain“ der große Durchbruch gelungen, da verunglückte Fenslau bei einem Autounfall leider tödlich. Sein musikalisches Erbe verblasst inzwischen ein wenig, begleitet uns aber grundsätzlich noch bis heute.

Neben seinem Engagement mit Chartbreakern für besagte Danceformation war Torsten Fenslau ab der zweiten Hälfte der 80er bis zu seinem plötzlichen Tod 1993 in Deutschland ein sehr gefragter DJ, der regelmäßig im „Dorian Gray“, der legendären Discothek im Frankfurter Flughafen, auflegte. Seine besten Sets, die teilweise auch im Radio gesendet wurden, werden von echten Fans erhalten und zum Beispiel bei Soundcloud und YouTube hochgeladen, um sie für die Nachwelt zu bewahren. Sie sind wie ein Querschnitt durch die spannende Welt der Clubmusik der späten 80er und frühen 90er Jahre, als elektronische Musik noch nicht ganz so durchkommerzialisiert und wesentlich experimenteller war.

Um diese Musik eingehender und vor allem treffender zu beschreiben, hätte ich vermutlich mindestens zehn Jahre älter sein müssen, denn wenn ich solche Dinge damals zufällig im Radio gehört hatte, dann ohne richtig hinzuhören, ganz zu schweigen von einem echten Erlebnis in einem Tanzlokal. Aber aus heutiger Sicht ist es für mich sehr angenehm, diese discothekale Zeitreise im Internet machen zu können, und ich möchte all den Sammlern und Uploadern für die Mitschnitte der vielen wundervollen Fenslau-Sets danken. Als Filmfan finde ich es faszinierend, wie in nicht wenige der damaligen Tracks einzelne Samples etwa aus SciFi-Blockbustern wie Alien oder Blade Runner eingebaut wurden.

Um interessierten Lesern ohne Abneigung gegen elektronische Tanzmusik ebenfalls die Möglichkeit zu geben, sich die konzentrierte Frankfurter Nightlife-Atmosphäre vom April 1990 reinzuziehen, binde ich hier eine kleine Kostprobe aus den vielen tollen Sets des unvergessenen Musikers und DJs an. Auf YouTube gibt es übrigens sogar noch bessere Einblicke in seine Musik.

12 Gedanken zu „Torsten Fenslau @ Dorian Gray April 1990

  1. CL

    Vielen Dank für den Beitrag! ich bin eine ehemalige Arbeitskollegin von Torsten aus dem Dorian Gray. Beim Zuhören werden schöne Erinnerungen wach….
    Schade, dass er uns so früh verlassen hat -er war wirklich was Besonderes.

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    1. Vince Beitragsautor

      Ich bin froh über deinen Kommentar! Es ist wirklich sehr schön von jemandem zu lesen, der nicht nur quasi live dabei war, sondern Torsten sogar persönlich gekannt hat. Um diese Erfahrung beneide ich dich.

      Ich kannte Torsten leider nicht, aber selbst mich berührt sein unglückliches Ende. Ich bin sicher, er hätte die elektronische Musik in Deutschland noch entscheidend geprägt, wenn er die Chance gehabt hätte.

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  2. CL

    Hallo Vince,
    ich hatte gar nicht mit einer Reaktion auf meinen Beitrag gerechnet.
    Ich wollte es erst gar nicht glauben, als ich von dem Unfall erfahren habe. Es gab damals einige in der Szene, bei denen es mich so ein Unfall überhaupt nicht gewundert hätte, aber bei Torsten?

    Ich hatte während meines Studiums im Dorian Gray gejobbt.
    DJ mäßig waren Torsten und DAG mein Dream Team. An Torsten habe neben seinen tollen Sets immer seine Bodenhaftung bewundert – einige DJs waren ja drogenmäßig teilweise sehr extrem unterwegs, andere hielte sich per se für die Tollsten, obwohl sie nicht mal einen Übergang zwischen den Tracks hinbekommen haben (damals schleppten die DJs noch Plattenkisten mit sich herum).

    …. Er nicht – und er hat sich über positives Feedback zu seinen Eigenproduktionen immer ehrlich gefreut (und was gab es da tolle Sachen – ich sag nur Running!!!). Einmal hat er mir demonstriert, wie man Tracks ineinander mixt. lol

    Nach seinem Tod war alles anders – DAG wechselte 1994 vom Gray ins Omen und ich habe ganz aufgehört.
    Es gibt vieles wofür ich ihm dankbar bin -allein dafür dass er mit der HR 3 Clubnight endlich mal ein hörbares Radioprogramm initiiert hat, könnte ich ihn knutschen. Zu dieser Zeit war da fast nur Dudelfunk!!!!!

    Ich hab irgendwo im Netz gelesen, dass Leute aus Süddeutschland in den Sendebereich von HR3 gefahren sind und auf Parkplätzen zur Clubnight gefeiert haben. Ich weiß zwar nicht, ob das wirklich stimmt, aber wundern würde es mich nicht.
    Zu Torstens 50. Geburtstag gab es wohl ein Event mit seiner Mutter- ich hab es leider nicht mitbekommen. Sie hätte sich sicher gefreut.

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    1. Vince Beitragsautor

      Aber klar doch, ich beantworte so gut wie jeden Kommentar hier, sofern es meine Zeit zulässt.

      Dein kleiner Insider-Einblick zu Torsten Fenslau und DJ Dag ist eine wundervolle, interessante Ergänzung zu meinem eher nüchternen distanzierten Beitrag zu jener Musik. Nochmals vielen Dank dafür!

      Regelmäßig halte ich Ausschau nach Techno Classics Veranstaltungen, bei denen die Musik der frühen 90er aufgelegt wird, wo dann auch Tracks laufen könnten, die Torsten noch selbst im Dorian Gray gespielt hat. Am ehesten bedient werden noch die Fans der späten 90er bzw. um die Jahrtausendwende. Aber wie gesagt, mit den alten Mitschnitten kommt man schon recht weit. Es gibt inzwischen eine ganze Menge davon. In vielen hört man auch noch diverse Ansagen von Torsten, Falschparker und sowas ;-)

      Deine Anekdote mit den Clubnight-Fans, die quer durch Deutschland fahren, nur um diesen einen Sender reinzubekommen, kann ich mir jedenfalls tatsächlich sehr gut vorstellen. Ich habe jedenfalls Raver/Clubber kennengelernt, die mit dem Auto mehrere hundert Kilometer Fahrtstrecke in Kauf nehmen, um eine bestimmte Discothek anzufahren, statt einfach die gewöhnliche Dorfdisco zu nehmen, die zwar direkt vor der Haustür liegt, aber eben nur Mist spielt. Die Musik ist eben entscheidend.

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  3. CL

    Gibt es tatsächlich Techno Classics Veranstaltungen? Ich seh immer nur Werbung für 90er Parties (wo vermutlich die Musik gespielt wird, die ich damals schon ätzend fand lol).
    Ich glaub niemand der die Zeit erlebt hat, kann darüber nüchtern berichten. Dazu war es einfach zu spannend- die coole Musik kam direkt von den DJS aus unserem Club. DAG hatte als Projekt Peyote und Dance to Trance und Torsten Tyrell INc, Klangwerk und Culture Beat. Da kam richtig Euphorie auf….lol
    Und dazu unser eigenes Radioprogramm, die Clubnight. Wenn ich mich richtig erinnere, hatte Torsten sogar ein Angebot für eine eigene Radiosendung vom Bayerischen Rundfunk- er ist aber der Clubnight treu geblieben.
    Das Dorian Gray war damals so ein bisschen wie ein zweites Zuhause – und ich habe ein ganzes Kaleidoskop von lustigen bis sehr verrückten Erinnerungen. Torsten war für mich die irgendwie die Seele des Clubs- ich glaube Menschen wie ihn findet man im Musikbusiness sehr selten. Ich habe nur am Rande mitbekommen, dass es nach seinem Tod einige Tributes für ihn gab, wo auch viele Tränen geflossen sind. Ich habe nie realisiert, wie viele in schätzten und mochten – das Gray war nach seinem Tod nicht mehr dasselbe.
    Es kamen andere DJs aber der Vibe war ein ganz anderer und nicht mehr meiner…..

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    1. Vince Beitragsautor

      Hehe, ja … es gibt Techno Classics in allen Formen und Farben, je nach Ausprägung mal kommerzieller und mal weniger. Zugegeben, für die Kybernauten muss man schon eine Weile suchen. Auf die von dir verhassten 90er Partys gehe ich allerdings auch regelmäßig, und natürlich sollte man nicht unerwähnt lassen, dass die Menge jedes Mal tobt, wenn Mr. Vain gespielt wird. Aber ja, oftmals gehen mir die immergleichen Eurodance-Playlisten irgendwann schwer auf die Nerven, so dass ich das Thema mittlerweile auch ruhiger angehe. Es stört mich, dass hier nie variiert wird.

      Vor ein paar Jahren habe ich „“Culture Beat““ live in Stuttgart gesehen, wobei das natürlich nur noch eine der Sängerinnen ist, unter der Leitung von Torstens Bruder. Mr. Vain haben sie damals leider nicht in der 1993er sondern in der härteren 2003er Version gespielt, was mich extrem geärgert hat. Den anderen Besuchern ist der Unterschied nicht einmal aufgefallen.

      Heute würde ich das Dorian Gray sehr gerne einmal besuchen, so wie es in seinen besten Zeiten war. Aber – wie schon betont – habe ich das alles ganz knapp verpasst ;-)

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  4. CL

    Das Problem mit den 90er Parties ist, dass die Tracks wo ich so richtig geflashed bin, nie gespielt werden – und dann steht man da und fragt sich was man eigentlich da soll..lol.
    Nur noch getoppt von den 80er Parties, wo dann nur Modern Talking, neue deutsche Welle und Dudelfunkmusik gespielt wird.

    Richtig gut dagegen fand ich die Depeche Mode Parties in Hamburg – da wurde wirklich 100 % Depeche Mode gespielt und von der Band gefällt mir auch fast alles. Torsten fand Depeche Mode auch gut und hatte sie oft in der Setlist.
    Ins Gray ist er (so wurde es mir erzählt) wohl gekommen, weil unser gemeinsamer Chef Michel auf seine Remixe total abgefahren ist. Ich lass es mal dahin gestellt aber eins weiß ich genau- wenn ein Darmstädter im Gray engagiert wird, muss er jemand schwer beeindruckt haben.
    Die Highlights von Torsten sind für mich: Running, The Dream (mit einem Martin Luther King Sample), der Erdbeermund mit Jo van Nelsen und natürlich Culture Beat -neben Mr. Vain gibt es noch andere schöne Tracks vom Album Serentiy. Nicht zu vergessen einen tollen Remix von Snaps Exterminate.
    Übrigens gibt es eine Compilation Best of Torsten Fenslau bei Amazon.
    Und wenn ich mir auf youtube mal reinziehe, welche akustische Umweltverschutzung hochbezahlte DJs wie Herr Guetta heute so fabrizieren – meine Güte- dann wünsche ich mir eine Zeitmaschine zurück ins Jahr 1990. lol

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    1. Vince Beitragsautor

      Was die anderen tollen Songs von Culture Beat angeht, bin ich ganz bei dir. Am besten gefallen mir nämlich „Got To Get It“ und „Anything“. Erst danach folgt bei mir „Mr. Vain“.

      Auch wenn man das alles irgendwann unter dem Schmähbegriff „Kirmestechno“ zusammengefasst hat, mag ich diese Songs. Und wenn ich ehrlich bin, „Got To Get It“ war 1993 auf der Kirmes wirklich ein Dauerbrenner. Und ich glaube im Musikvideo geht es sogar um einen Jahrmarkt.

      Über David Guetta müssen wir uns wohl nicht unterhalten. Den kann ich auch absolut nicht ausstehen. Musikalisch kann ich den Charts bereits seit vielen Jahren nichts mehr abgewinnen – aber das ging meinem Vater vor 30 Jahren schon so. Wir alle hängen wohl irgendwann doch zu sehr „unserer“ Musik nach – bei manchen ist der Zeitpunkt früher erreicht, bei anderen später. Darüber könnte man bestimmt Bücher füllen.

      Aber wenn du diese Zeitmaschine gefunden hast, gib mir bitte Bescheid. Ins Jahr 1990/1991 würde ich ebenfalls gerne mal wieder reinschauen. Vieles aus dieser Zeit fasziniert mich heute aus den unterschiedlichsten Gründen.

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  5. CL

    Noch ein Nachtrag: es gibt irgendwo einen Mitschnitt auf youtube von der Clubnight live vom Hessentag – da hat Torsten Mr. Vain gespielt – mit einer einmaligen Publikumsreaktion…. schön zu hören, dass die Leute noch heute darauf abfahren…

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  6. CL

    Lol Ich sag sofort Bescheid wenn ich die Zeitmaschine finden sollte…

    Es ist durchaus nicht so, dass ich allem nachhänge, was damals aus der Frankfurter Technoszene stammte. Mark Spoon (einer von Torstens Nachfolgern für die Frühschicht im Gray ) lebt ja auch nicht mehr – hab ich am Rande zur Kenntnis genommen…..

    Torsten hatte persönliches Format – und das bedeutet eine Menge in den heutigen Zeiten, wo Fairness und common decency überhaupt nicht mehr hoch im Kurs stehen. Nur deswegen ist mir diese Zeit überhaupt so positiv und relativ unbeschwert in Erinnerung, (während ich anderes komplett vergessen habe).
    Ich bereue, dass ich nicht Set Tapes aus dem Gray von ihm gekauft habe (im Gray ließen die DJs mitunter Tapes mitlaufen und haben die dann verkauft- sparte die Mühe, sich den Kram selbst aufzunehmen oder alle Platten zu kaufen) & ich hätte mal sagen sollen, wie genial ich seine Sets fand (egal ob das nun uncool rübergekommen wäre oder nicht).

    Schön, dass es noch jemand gibt, der sich für die gleiche Musik begeistern kann. Man fühlt sich nicht ganz so aus der Zeit gefallen – (so nach dem Motto allein unter Handyguckern)… lol

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    1. Vince Beitragsautor

      Ja, der Tod von Mark Spoon kam auch sehr überraschend, wenn ich das richtig in Erinnerung behalten habe. Ich kannte ihn direkt allerdings nur als Teil von „Jam & Spoon“.

      Danke für den Tipp mit dem Best-Of-Album. Die Playlist ist wirklich einmalig. Viele tolle Sachen drauf. „Die Kybernauten“ höre ich natürlich immer wieder gerne, „The Dream“ ist auch sehr gut. Außerdem „Die Schwarze Zone“ und auch „Running“, wie du schon sagst. Wobei der Song natürlich nur halb so gut ohne das Sample von Vangelis wäre. Besonders fasziniert mich „Der Komtur“, wo die Geschichte im Vordergrund steht. Auch „Immer wenn er Pillen nahm“ und „Heute ist ein guter Tag zum Sterben“ sind recht witzig.

      Man merkt, dass Torsten sehr gerne mit Samples aus Film- und Fernsehen gespielt hat, bzw. auch fremde zeitgenössische Musikstücke in seine eigenen verarbeitet hat (Blade Runner, The Abyss, Flatliners, Alien, Der weiße Hai…) oder sich eben bei Literatur (Die schwarze Spinne), Hörspielen und politischen Reden (I have a dream) bedient.

      Alles Tracks, die er in seinen eigenen Sets logischerweise rauf und runtergespielt hat. Ach, das ist alles schon sehr einmalig und spannend.

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  7. CL

    A propos Zeitmaschine – wenn man vom Teufel bzw. von der Zeitmaschine spricht: Hier ist die Zeitmaschine zurück ins Jahr 1993 ins Dorian Gray mit Torsten. Alles ziemlich typisch für das Gray damals – inklusive Dunkelheit, Lasershow, Trockeneisnebel und Musikauswahl…

    https://www.youtube.com/watch?v=10WUaYTS6Y8
    Es gibt noch Teil 2+3.

    Ja mit der Filmmusik hatte er es, auch mit den langen Intros.. (der Introkönig wurde er inoffiziell öfters genannt). neben den von dir erwähnte Projekten gab es auch noch anderes hörenswertes – ldc traumreise. Ich glaub dieser Track fehlt auf der Best of.

    Am 23.04 wäre Torsten 54 Jahre geworden – ich werde zusammen mit einem Freund, der ihn noch in Darmstadt als DJ in Lopos Werkstatt erlebt hat den Friedhof besuchen. Und ein Dankeschön dalassen für viele tolle Sets und schöne Erinnerungen. Ich hab das damals als selbstverständlich hingenommen- dass es das nicht ist, sieht man erst im Vergleich zu heute (zu den Herren Guetta und Co. hatte ich mich ja schon ausgelassen) lol..

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