Ein Datenmessie und sein Datenschatz

Seit ich denken kann, habe ich Daten produziert und gesammelt. Ganz am Anfang noch auf Disketten am Atari ST. Ich habe Bilder mit STAD gemalt, Musik mit DIGIT komponiert, Programme in GfA BASIC geschrieben, und alles fleißig auf Disketten gespeichert. Hinzu kamen natürlich alle meine Spiele, meine Programme, mein ganzer PD-Krempel, und hey, sogar meine eigenen Burgen für Ballerburg. Jahre später haben mein Vater und ich in wochenlanger Arbeit hunderte Atari-Disketten auf DAT-Bänder gesichert. Und dann vergessen. Keiner weiß heute wo diese Bänder liegen, und ob sie noch lesbar sind.

Am Amiga ging das im Grunde genauso weiter, nur die Programme hießen anders. Und am PC bekam ich dann endlich ganz neue Möglichkeiten, noch viel größere Datenmengen zu produzieren und zu speichern: Mit unserer Videocapturing-Karte konnte ich kleine Filmchen drehen und als AVIs speichern. Unsere beiden Festplatten waren damals zwar leider viel zu klein um viele Videos zu speichern, doch glücklicherweise konnte ich ab 1998 einen CD-Brenner verwenden, der fortan fleißig genutzt wurde, um „Backup-CDs“ zu brennen, wenn der Festplattenspeicher mal wieder zu knapp wurde. Darauf brannte ich all die kurzen Spaß-Videos mit meinen Schulfreunden, mit unserem alten Handy-Scanner gescannte Fotos, Schnappschüsse von meinen Geschwistern, Shareware-Versionen von meinen liebsten Win3.11-Spielen, Savegames, private Wordpad-Dokumente und welche für die Schule, aus dem Internet einzeln heruntergeladene Tipps-&-Tricks-Seiten für Spiele, Chatprotokolle, und und und. Die Liste ist quasi endlos. Die Backup-CDs stapelten sich schon bald bei mir im Kinderzimmer, gleich neben den Diskettenstapeln.

Die Abstellkammer-Skyline aus CD-Wolkenkratzern

Die Massenspeicher wurden mit der Zeit größer. Schon im Jahr 2000 wurde endlich eine 30 GB-Festplatte angeschafft. „Die bekommt man ja NIE voll!“, hieß es da schon wieder, während gleichzeitig die Wolkenkratzer aus selbstgebrannten Rohlingen wuchsen. Mit unserer neuen ISDN-Flatrate und mächtigen Downloadmanagern wie Gozilla oder GetRight konnte ich komplette Webseiten inklusive ihrer Download-Archive quasi über Nacht herunterladen, was ich dann vielfach auch tat. Einmal landeten so 600 MB allein an 3dfx-Treibern auf meiner Festplatte. Oder gigabyteweise Musik von mp3.com, einer Webseite, die zur Jahrtausendwende gratis MP3-Dateien anbot. Oder 500 MB an Mod-Dateien von The Mod Archive. Aber ich glaube, das waren nur die Buchstaben A und B. Weiter bin ich damals nicht gekommen. Überhaupt habe ich sehr gerne komplette Archive heruntergeladen, wenn ich welche fand. Egal ob Fotos, Videos, Audios, Spielesammlungen, Spaßprogramme, eBooks, GIF-Animationen, Midi-Kollektionen, Custom-Maps für Spiele – ich hab alles gedownloadet, weggspeichert, und letztlich weggebrannt, oftmals, ohne die Dateien jemals wieder anzurühren.

Im Jahr 2005 wandelte sich mein Datenmessie-Verhalten ein wenig. Erstmalig wurde das Brennen der vielen wertvollen Daten auf DVD-Rohlinge immer mühsamer, und gleichzeitig wurden die Festplatten endlich in schneller Folge immer deutlich größer. Schließlich – nach wahrscheinlich an die tausend gebrannten Backup-CDs und -DVDs – stellte ich das Brennen ganz ein, und ging dazu über, einfach immer größere Festplatten zu kaufen und die Daten jeweils immer umzukopieren. Meistens in einen Unterordner, der dann so hieß wie die alte Festplatte, damit ich wusste, wo die Daten herkamen. Das führte dazu, dass die Dateien immer einen Unterordner tiefer wanderten, je mehr Festplatten sie durchliefen. Und es führte dazu, dass ich noch weniger Ordnung halten musste, denn ich konnte alles einfach immer irgendwo in einen Ordner werfen, und musste keinen Gedanken mehr daran verschwenden. Ordner und Unterordner stapelten sich nun bei mir – ganz so wie früher Disketten, CDs und DVDs.

Wir machen einen Zeitsprung ins Jahr 2019: Inzwischen stapeln sich bei mir nicht mehr nur Disketten, CDs, oder DVDs, sondern Festplatten. Es handelt sich um meinen ganzen, nutzlosen Datenschatz, der heute in die zweistelligen Terabytes geht, und der regelmäßig (teilweise) mit Hilfe von Batch-Skripten auf ein 15 TB-NAS gespiegelt wird. Ich bin längst damit fertig, alle meine Backup-CDs und -DVDs aus den Jahren 1998 bis 2006 auszulesen und auf meinen Festplatten zu speichern, so dass ich in meinem unkontrollierbaren Backup-Wahn dazu übergegangen bin, nun auch die unzähligen alten Beilage-CDs von GameStar, PC-Games, PC-Action, PC-Player, PC-Joker usw. zu kopieren. „Wer macht denn so einen Quatsch?“, werden sich viele fragen. Ich habe vergessen, warum ich das mache. Es ist wie ein Reflex. Alles muss in mein Backup-Archiv.

Kürzlich habe ich in einige meiner alten Dateien vom Dezember 1997 reingeschaut, und war erstaunt, was sich dort noch alles findet. Es ist ganz sicher dasselbe Gefühl, das jemand hat, der auf dem Dachboden im Haus der Eltern eine alte, verstaubte Kiste mit Krempel aus der Kindheit findet. Ich habe meine allerersten E-Mails gefunden, und den gesamten E-Mail-Briefverkehr mit einigen meiner ersten Internetbekanntschaften, darunter eine gleichaltrige E-Mail-Brieffreundin aus Berlin. Diverse gespeicherte Mitschriften aus den guten alten Internet-Chatrooms, QBasic-Quellcodes, ein erster gescheiterter Versuch einer eigenen GTA-Homepage. Meine erste Bookmark-Liste, als lange TXT-Datei, wo ich jede Webseite noch einzeln und ausführlich kommentiert und bewertet habe. Hättet ihr z.B. gewusst, dass Fireball die allerbeste Suchmaschine ist? Eine wirklich quietschbunte Mischung aus allen möglichen Dingen, mit denen ich mich damals beschäftigt habe. Es war ein wirklich atemberaubender Flashback, und das Gefühl wird noch dadurch verstärkt, dass ich selbst vergessen hatte, dass ich das ganze Zeug noch habe. Das ist irgendwie der Vorteil dabei, wenn man nichts wegwerfen kann. Alles taucht irgendwann wieder auf.

Der Nachteil ist, dass es quasi aussichtlos ist, diese unvorstellbaren Datenmengen irgendwie sinnvoll zu sortieren. Das hätte vermutlich den Umfang eines separaten Lebenswerks. Beim Sichten der alten Dateien ist mir aufgefallen, dass die Unordnung überwältigend ist, vieles ist doppelt und dreifach vorhanden, tausende nichtssagende Ordnernamen, alles mögliche in ZIP- oder RAR-Archiven, oder auch nicht. Stöbern geht gerade noch so, aber nach etwas Bestimmtem suchen? Keine Chance. Mir fällt nicht einmal im Ansatz ein System ein, mit dem man diesen ganzen Kram sortieren könnte. Wie als wollte man auf einer Müllhalde den ganzen Müll kategorisch ordnen, um eine bestimmte Cornflakes-Schachtel im Zweifel schneller finden zu können. Alles radikal nach Dateinamen, Dateidatum oder Dateityp sortieren? Besser nicht, schließlich sind ja auch etablierte Dateigruppierungen darunter, die ich beibehalten will.

Ich habe mit dem Sortieren inzwischen trotzdem mal ganz rudimentär angefangen, ein paar Ordner zusammengefügt, ein paar offensichtliche Duplikate gelöscht, aber sehr weit bin ich wie erwartet nicht gekommen. Das Datenchaos ist eigentlich kaum mehr zu entwirren. Ob ich ohne den ganzen Datenschrott überleben könnte? Sicher, aber es wäre dennoch ein schmerzhafter Verlust, wenn alles weg wäre. Wer verliert etwa gerne alle seine alten Briefe, seine Tagebücher, seine alten Schulsachen, seine Dias und Super-8-Filme, seine alten Spielsachen? Klar, solche Leute wird es geben, aber ich gehöre absolut nicht dazu. Diese ganzen Altlasten sind schließlich ein wichtiger Teil von mir, alles was ich je produziert habe. Und ich habe keine genaue Vorstellung davon, was in dem ganzen Datenschatz noch so alles verborgen liegt. Womöglich befindet sich sogar das Bernsteinzimmer irgendwo darunter.

4 Gedanken zu „Ein Datenmessie und sein Datenschatz

  1. Gerry

    Habe meine Backup CD-Rs gerade mal durchgezählt und komme auf knapp 200 Stück. Seitdem ich online bin, habe ich alles, was ich im Netz gefunden und für archivierenswert gehalten habe (und natürlich auch selbst erstellte Dateien), auf 650/700 MB CD-Rohlinge gesichert. Durch meine einheitliche Verzeichnisstruktur (Bilder, Texte, Musik, Programme) finde ich mich auf der jeweiligen CD gut zurecht. Wenn ich allerdings eine bestimmte Datei suche, muss ich Discjockey spielen, bis ich fündig werde (meist findet sich die Datei dann auf der letzten CD im Stapel ;-)).

    Auch ich möchte mein Archiv nicht missen. Es ist, wie Du bereits geschrieben hast, auch ein wichtiger Teil von mir und macht mich unabhängig.

    Von meinen Backups (auf Quic-80 Streamerbändern) aus meiner PC-Anfangszeit (1994) konnte ich mich allerdings trennen, da ich zu jener Zeit hauptsächlich Spiele auf Tape ausgelagert hatte, um Speicherplatz auf der Festplatte freizuschaufeln.

    Meine Software-Sammlung für den Atari ST habe ich natürlich auch noch und bin froh, erst kürzlich eine Diskette mit dem von mir laienhaft in GfA-Basic programmierten Programm zur Erstellung von Stundenplänen und vielen abgetippten Listings auf den PC gerettet zu haben – die Diskette zeigte nämlich schon Ausfallerscheinungen.

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    1. Vince Beitragsautor

      Das ist interessant zu hören, dass es bei dir teilweise ähnlich zugeht wie bei mir. Das leidige Thema des Durchsuchens von CDs kenne ich sehr gut. Nur funktioniert meine Filterung leider nicht, so dass ich mich nicht auf archivierenswerte Inhalte beschränken kann, sondern quasi das meiste aufhebe, und mich nur selten von Dateien trenne. Man weiß ja schließlich nie, wann man es nochmal brauchen kann!

      Außerdem habe ich leider tatsächlich schon den Fehler gemacht und mich auf das nicht ganz so alte Sprichwort „Das Internet vergisst nie“ verlassen, so dass ich Dateien gelöscht habe, die ich hinterher im Netz selbst nach langer, intensiver Suche nicht mehr finden konnte: Alle Download-Links tot oder die Webseite inzwischen offline, etc. Soviel also zu dem Thema…

      Hast du denn keine Angst, dass deine CD-Rs allmählich ihre Lesbarkeit verlieren? Mag sein, dass meine Situation nicht repräsentativ ist, aber von meinen vielen optischen Datenträgern waren schätzungsweise 30% teilweise oder im Extremfall auch gänzlich unlesbar – auf mehreren Laufwerken getestet. Es hängt wahrscheinlich stark von der Qualität der gekauften Rohlinge ab, aber nach teilweise über 20 Jahren hatte ich dann doch mit einigen meiner CDs deutliche Probleme. Das fällt bei einzelnen Dateien im Explorer vermutlich kaum auf, aber wenn man die CD dann mal komplett einlesen will, melden sich die ersten unkorrigierbaren Lesefehler. Bei meinen ältesten 650 MB-Rohlingen sieht man sogar lustige Verfärbungen.

      Nicht umsonst habe ich die CD-Rs irgendwann alle auf Festplatten gesichert. Das spart zum einen das ständige CD-Wechseln, zum anderen wird so vorerst gerettet was noch zu retten ist. Und selbst gepresste Kauf-CDs halten leider nicht ewig. Musik-CDs aus den 80ern lösen sich angeblich in einigen Fällen schon auf.

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  2. Gerry

    Ich habe mich auch schon geärgert, Internetinhalte nicht selbst archiviert zu haben. Beispielsweise gab es damals den Versuch, ein Remake von Amberstar mit Hilfe der Neverwinter-Nights-Engine zu erstellen. Ich hatte das Projekt nur am Rande mitverfolgt. Als die Internetseite dann offline ging (weil das Projekt eingeschlafen war), habe ich natürlich bereut, die Screenshots vom Remake nicht selbst gespeichert zu haben. Die Waybackmachine hatte leider auch nur ganze drei Bilder im Archiv.

    Hast du denn keine Angst, dass deine CD-Rs allmählich ihre Lesbarkeit verlieren?

    Der Gedanke dran und dass es später vielleicht mal etwas schwieriger werden könnte, noch ein Bluray-/DVD- oder CDROM-Laufwerk aufzutreiben, kam mir tatsächlich vor kurzem. Ich habe meine Backups mehrheitlich auf TDK- und Verbatim-Rohlingen gemacht, die in den Testberichten sehr gut abgeschnitten hatten. Lesefehler oder optische Veränderungen sind bislang nicht aufgetreten. Zur Zeit verwende ich TDK „Medical“-Rohlinge (Archive Grade).

    Backups meiner Homepage mache ich mehrmals im Jahr, sodass ich selbst bei einem Totalausfall einer Backup-CD noch auf ältere Versionen zurückgreifen könnte. Der Verlust der Dateien, die ich nur einmal gesichert habe, wäre natürlich sehr schade.

    Eine Überspielung auf Festplatte werde ich aber wohl früher oder später vornehmen (müssen).

    Erst in den letzten Tagen habe ich bemerkt, dass die Abstände, bis ich die 650/700 MB für eine Archiv CD zusammen habe, immer größer werden. Anscheinend gibt es für mich im Internet nicht mehr soviel Neues zu entdecken und zu sichern. Das hat weniger mit einem nachlassenden Interesse meinerseits zu tun, sondern vielmehr mit einem nachlassenden Angebot (beispielsweise an Remixes von Computerspiele-Musik, die damals in großer Zahl erschienen und von mir heruntergeladen wurden).

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    1. Vince Beitragsautor

      Wie raffiniert von dir, dass du dir die teuren TDK- und Verbatim-Rohlinge gekauft hattest. Soviel Weitsicht hatte ich nicht. Mit meinem spärlichen Taschengeld musste ich damals leider auf Masse statt Klasse setzen, und so habe ich fast nur billige Discounter-Rohlinge (oder Spindel-Rohlinge vom Mediamarkt) in meiner Sammlung. Was das betrifft, kann ich mich eigentlich nur bedingt beklagen. Aber im Grunde hast du dir damit auch „nur“ Zeit erkauft, bis Ausfallerscheinungen auftreten. Wer sichergehen will, muss zwangsläufig auf mehrfache Redundanz setzen oder Dateien regelmäßig alle paar Jahre umkopieren bzw. die Daten in Bewegung halten.

      Was mir fehlt, ist so ein richtig widerstandsfähiger (und großer!) Archiv-Datenträger, der wirklich auf Langzeitspeicherung >30 Jahre ausgelegt ist, und der nicht gleich beim ersten Kratzer ratlos im Laufwerk rumrödelt. Dummerweise sind die NAS-Festplatten in meinem Netzwerkspeicher (nur Cold Storage) inzwischen auch schon bald 8 Jahre alt. Ich warte eigentlich nur darauf, bis das erste rote Defekt-Lämpchen anfängt zu leuchten und der Hardwaretausch losgeht.

      Die meisten werden mich für verrückt erklären, aber inzwischen habe ich mich auch schon dabei ertappt, wie ich mir die neuen 16 TB Festplatten von Seagate angesehen habe. Das wär schon eine Klasse für sich. Nur die Preise sind da leider noch sehr abschreckend.

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