Kitschige Reise zur Selbsterkenntnis
Der alleinstehende Gymnasiallehrer Raimund Gregorius (Jeremy Irons) lebt seit Jahren in dem traurigen Bewusstsein, dass er ein langweiliger Mensch ist, bis er auf dem Weg zu einer Unterrichtsstunde eine junge Frau davor bewahrt, von einer Brücke zu springen. Bevor er mehr über sie erfahren kann, läuft sie davon. In ihrer Manteltasche findet er ein geheimnisvolles portugiesisches Buch und eine Fahrkarte nach Lissabon. Kurzerhand entschließt er sich zu einer Reise. Aus dem Buch erfährt er die tragische Geschichte des Mediziners Amadeu, der in den 1970er Jahren, zur Zeit der autoritären Diktatur in Portugal für den Widerstand arbeitete. Raimund besucht in Lissabon Pater Bartolomeu (Christopher Lee), Amadeus Schwester Adriana (Charlotte Rampling) und seinen ehemaligen besten Freund Jorge (Bruno Ganz), mit deren Hilfe er der Entstehung des äußerst seltenen Buches auf den Grund gehen will. Während er versucht, die letzten offenen Fragen in der dunklen Vergangenheit von Amadeu und seinen Freunden aufzuklären, muss er sich gleichzeitig entscheiden, wo sein Platz im Leben sein soll. Dabei will ihm die Optikerin Mariana (Martina Gedeck) helfen.
Der starkino-erprobte dänische Filmemacher Bille August führte bei der Bestsellerverfilmung „Nachtzug nach Lissabon“ von 2013 Regie. In dem Film nach dem gleichnamigen Roman von Pascal Mercier findet ein einsamer Lehrer in den geschriebenen Worten des portugiesischen Arztes Amadeu die nötige Kraft, um die Ketten seines betäubenden langweiligen Alltags, dem er sich vor langer Zeit ergeben hat, zu sprengen. Auf seiner erkenntnisreichen Reise durch das Leben des verstorbenen Verfassers hilft er bei der Aufarbeitung einer längst vergessenen Geschichte über Politik, Freundschaft, Liebe und Eifersucht, und findet dabei endlich den Weg zu sich selbst. Eine zufällige Begegnung auf einer Brücke veranlasst Raimund, die Zügel seines eigenen Schicksals selbst in die Hand zu nehmen, und wieder zu leben, statt nur gelebt zu werden.
Die schlechte Nachricht vorweg: „Nachtzug nach Lissabon“ trieft geradezu vor Kitsch, und das Motiv der Hauptfigur scheint besonders am Anfang mindestens so undurchsichtig wie unlogisch. Nicht jeden werden die tiefsinnigen Buchzitate, die gelegentlich in den Film eingestreut werden, in philosophische Ekstase versetzen, vielleicht sogar eher abschrecken. Trotz allem sollte man unbedingt einmal versuchen, durch den entsetzlich rührseligen, alles romantisierenden Schleier des Films zu blicken, denn dahinter verbirgt sich ein bewegendes Drama vor einem historischen Hintergrund.
Ohne Frage wurden Jeremy Irons, Christopher Lee und Bruno Ganz auch wegen ihrer Bekanntheit gecastet, aber womöglich schadet diese Besetzung dem Film mehr als sie nützt: Jeremy Irons ist Hauptdarsteller in einer Geschichte, in der er über weite Strecken keine direkte Rolle spielt, und Christopher Lee und Bruno Ganz haben nur wenige Szenen, die von ihrer Erfahrung profitieren könnten. So lenken die berühmten Gesichter eher von der Handlung ab, anstatt ihr den nötigen Kontrast zu verleihen.
Fazit: Mit „Nachtzug nach Lissabon“ wurde ein betont melancholischer Film über eine fiktive Begebenheit in einem historischen Kontext im politisch vielleicht problematischsten Kapitel Portugals geschaffen, über den steinigen Weg zur Selbsterkenntnis, ein Film, der sich in seiner erzwungenen, mitunter künstlichen Emotionalität und seiner konfusen Logik leider zu stark gehen lässt. Im Kern aber ist es ein bewegender, wenig alltäglicher Film, der vor allem Hobbyphilosophen und Herbstromantiker ansprechen könnte.