Was für ein Glück, ich muss noch nicht auf Ü30-Partys. Mir bleiben noch zwei kümmerliche Jahre. Was kann man in zwei Jahren noch so alles machen, was man unbedingt vor dem Dreißigsten erlebt haben sollte? Also lange dauert es wirklich nicht mehr. Ich fühle mich gar nicht weiser als vorher, nur wieder mal bedeutend älter, und dem Tod ein Stück näher. Was sagt das eigentlich über mich aus? Wie dem auch sei, lasst mich mein jüngstes Lebensjahr mit einem gepflegten aber kurzen Rant einleiten. Der letzte ist schon zu lange her.
War jemand von euch 2006 dabei? Damals als die ersten beiden Social Networks in Deutschland ihre Pforten öffneten? Schlappe drei Jahre nach der Geburtsstunde von Facematch/Facebook in den USA. Aber Facebook war damals noch nicht nach Europa expandiert. Im Frühjahr 2006 konnte man sich bei dem als Facebook-Kopie verschrienen StudiVZ registrieren. Und plötzlich war jeder dabei. Jedenfalls jeder Student, aber damals war ja noch jeder Student. Und wer kein Student war, hat ganz einfach irgendeine Hochschule ausgewählt, sich trotzdem registriert, und war dann auch dabei.
Um die Geschichte abzukürzen: StudiVZ habe ich damals recht intensiv genutzt, einfach weil es noch ganz neu war. Heute interessieren mich soziale Netzwerke nicht mehr besonders. Facebook hat mir das Konzept mit dem „Teilen“ und dem „Liken“ wirklich versalzen, und man wird überflutet mit Informationsmüll. StudiVZ war früher noch etwas anderes. Es war nur ein Werkzeug der Kontaktaufnahme und Kommunikation. Völlig unaufdringlich, so wie es sein sollte. Und vor allem: Damals ging es auch noch ohne. Wer kein StudiVZ nutzen wollte, der hatte trotzdem irgendeinen anderen Messenger (ICQ, AIM, Yahoo, IRC) auf dem Rechner, oder eben eine E-Mail-Adresse. Facebook wird heute zum einzigen Lebensinhalt vieler Menschen. Die einzige heute verbliebene Alternative zu Facebook: der Facebook-Messenger. Nein, wie kreativ.
Aber egal, darauf wollte ich gar nicht hinaus. Ich bin jemand, der versucht alles aufzuheben. Wenn ich nur lange genug suche, finde ich vermutlich sämtliche alten ICQ-Chatprotokolle der Jahre 1999 bis heute. Wahrscheinlich auch mehrere tausend E-Mails, die sich in dieser Zeit angesammelt haben. Auch alle SMS der letzten sieben Jahre habe ich gespeichert (bis auf ein paar, die mein letztes Handy eigenmächtig vernichtet hat). Warum behalte ich sowas? Nunja, warum behält man denn z.B. Fotos oder Familienvideos? Weil es Erinnerungen wachruft und weil es ein Ausschnitt aus einer vergangenen Zeit ist. In ICQ hat zum ersten Mal ein Mädchen sein Interesse an mir bekundet, genau wie StudiVZ Zeuge der gesamten Beziehung mit meiner ersten Freundin war – von den ersten Kennenlernversuchen, über die ersten Liebes- äh.. -„briefe“, dem ersten Streit, und der schmerzhaften Trennung. ICQ-Protokolle lassen sich leicht speichern und leicht auslesen. E-Mails und SMS lassen sich mit mehr oder weniger Mühe auch noch exportieren. Bei sozialen Netzwerken sieht das schon ganz anders aus.
Wer-kennt-wen löscht alle Nachrichten nach 30 Tagen, weist aber wenigstens deutlich darauf hin: DER Grund für mich, warum ich diesen Dienst nie genutzt habe. StudiVZ dagegen speichert alles, weigert sich aber eine Export-Funktion für die Nachrichten anzubieten. Obwohl es meine Nachrichten sind, darf ich sie nicht speichern. Es gibt wohl tatsächlich Tools, die sowas ermöglichen sollen, die werden aber nicht toleriert. Die Sperrung des Accounts droht einem dabei, wenn es auffällt. Inzwischen habe ich angefangen mich zu fragen, wie lange ich noch darauf vertrauen will, dass StudiVZ nichts davon löscht. Und wenn StudiVZ morgen dichtmachen sollte, sind dann alle meine Nachrichten weg. So habe ich kürzlich alle 1400+ StudiVZ-Nachrichten im Plaintext mit Copy & Paste in einen Texteditor kopiert. Ein Unding eigentlich, aber es bleibt ja keine Alternative.
Ich fordere einen „Profil abspeichern“-Button für solche Dienste, weil es MEIN eigenes Profil ist, und weil ich MEINE Nachrichten auch über die Lebenszeit des entsprechenden Dienstes hinaus behalten will. Technisch gesehen ist das kein Problem, und mir meine eigenen Daten auszuhändigen, kann auch sonst keine datenschutzrechtlichen Probleme aufwerfen. Ich finde es eine Schweinerei, dass mir das nicht ermöglicht wird.
Habe mich in Deinem Beitrag gut wiederfinden können – zwar weniger im Hinblick auf Profildaten, dafür aber umso mehr im Hinblick auf „alles aufheben“.
Emails, die ich nochmal rauskramen muss um nachzulesen, was man damals mal vereinbart hatte (z.B. im Hinblick auf Nutzungsrechte für meine HP) oder mit denen ich schöne Erinnerungen verbinde, sind auf meinem Rechner nun schon seit 1999 gespeichert. Mit den nunmehr mehreren Tausend Emails in Postein- und ausgang bekommt Thunderbird allerdings mittlerweile einige Probleme und will nach jedem Programmstart erstmal eine Datenzusammenstellung aufbauen).
SMS werden ebenfalls archiviert, allerdings derzeit noch ausschließlich auf dem Handy. Ich würde die SMS ja gerne auf dem PC speichern, habe allerdings noch keinen Weg hierfür gefunden. Die meinem Handy (LG KE-970 Shine) beiliegende Software erlaubt leider nur den Austausch und Bearbeitung von Telefonbucheinträgen. Emailversand klappt von meinem Handy nicht so recht, sonst hätte ich die Nachrichten ggfs. per Email an mich selbst geschickt.
Hast Du hierzu vielleicht eine Idee?
Bisher habe ich es weder privat noch beruflich bereut, alles aufzuheben – im Gegenteil. Gerade im Büro kommt es gerne vor, dass ich eine Stellungnahme zu Themen abgeben muss, welche zuletzt vor vielen Jahren bearbeitet wurden – gut, wenn man dann einfach nochmal kurz in seinen Unterlagen nachschauen kann :-).
Hallo Gerry,
danke für deinen Kommentar. In der Tat geht es mir da so wie dir. Es gibt in unserer Firma sogar die Vorgabe, E-Mails schnellstmöglich zu löschen, aber daran halte ich mich nicht, weil ich alles schriftlich und alles nachverfolgbar haben will. Hat sich bislang schon einige Male als sehr nützlich herausgestellt.
Aber auch privat erwische ich mich manchmal dabei, in alten E-Mail- & SMS-Korrespondenzen zu schmökern, für den gewissen „Hachja“-Effekt, wenn es z.B um alte, längst verblichene Freundschaften geht, oder vergebliche Flirtversuche usw. Für mich hat das denselben Stellenwert wie ein gut gepflegtes Fotoalbum, weil es eben unverfälscht zeigt, was mir damals so im Kopf herumging, womit ich mich befasst habe.
Wie du schon erkannt hast, geht es mir da nicht primär um Profile auf sozialen Netzwerken, aber speziell in meinem Fall kommt das eben noch dazu, weil ich das eine zeitlang als Kommunikationsmedium verwendet habe. E-Mails lassen sich ganz einfach exportieren und archivieren, aber mit anderen Medien geht das leider nicht so einfach, wie das dein Beispiel mit dem LG-Handy zeigt.
Meine alten Nokia-Geräte boten zum Glück immer die Möglichkeit, die SMS als einzelne Textdateien via Drag & Drop herauszukopieren. Wenn deine LG-Software so etwas nicht anbietet, dann bleibt höchstens noch die Möglichkeit, das Gerät am Rechner als Massenspeicher zu mounten und zu hoffen, dass du dort irgendein Flatfile findest, in dem die SMS abgelegt sind. Da ich selbst nie Geräte von LG besaß, kann ich dir dazu nicht mehr sagen.
Aber ob du es glaubst oder nicht, ich weiß wie das ist: Besagte Nokia-Geräte ließen mir wiederum keine Möglichkeit, die gespeicherten Notizen zu exportieren – und das habe ich erst Wochen später gemerkt. So habe ich in stundenlanger Arbeit alles direkt vom Handy-Display in den Rechner abgetippt. Darauf falle ich nie wieder rein! Damn you, Nokia!
Hallo Vince,
mein Handy zeigt am Rechner über USB und auch Bluetooth leider nur die Kategorien und Dateien an, die unter „Eigene Dateien“ auch auf dem Handy erreichbar sind, d.h. Bilder, Videos, Sounds,… (die SMS bleiben leider unsichtbar). SMS einfach in den Dokumente-Ordner kopieren und dann exportieren klappt leider, da das OS diese Möglichkeit nicht anbietet.
Mein Gerät bietet standardmäßig Platz für 300 SMS. Bis das Limit erreicht ist, wird mir ja vielleicht noch eine Lösung einfallen. Ansonsten bleibt wahrscheinlich, wie bei Dir, nur noch Abtippen übrig (bei derzeit 95 SMS dürfte das wohl zeitnah möglich sein).
Meine erste empfangene SMS von meiner damaligen Freundin, die ich damals mangels eigenem Handy auf einem geliehenen Gerät erhalten habe, habe ich übrigens mit dem Scanner archiviert :-). Das Siemens-Gerät mit seinem monochromen Display ließ sich prima auf den Flachbettscanner legen und die SMS in wenigen Schritten abscannen.
Nochmal zum Thema „alles aufheben“:
Solange ich Platz zum Archivieren habe (sei es Stauraum in Schränken und Regalen oder in Form von Speicherplatz auf Speichermedien), hebe ich generell viel auf – man weiß ja nie, wann man es noch brauchen könnte. Fehler der Vergangenheit („Wofür brauche ich diese Computerspiele-Zeitschriften eigentlich noch? Da schaue ich eh nie mehr rein und die nehmen eh nur Platz weg – also weg damit…“) haben mich vom vorschnellen Entsorgen/ Löschen entwöhnt.
Ich weiß nicht, ob ich das verallgemeinern kann, aber heutzutage komme ich mir mit meiner Einstellung im Alltag meist sehr einsam vor.
Im Internet treffe ich zwar auf Gleichgesinnte (wie z.B. hier – daher nochmals danke für den Beitrag, oder auf diversen Retrocomputing-Seiten), im „Reallife“ werde ich jedoch manchmal etwas komisch angesehen, wenn es um dieses Thema geht.
Mein privates und berufliches Umfeld lebt teilweise scheinbar ausschließlich in der Gegenwart ohne Interesse an dem, was mal war und bevorzugt anscheinend im Büro lieber leere Schränke und zu Hause eine übersichtlich und spartanisch eingerichtete Wohnung, als nur eine Sache aufzuheben, die man momentan nicht benötigt.
Rate mal, wen genau diese Leute dann aufsuchen oder anrufen, wenn sie doch mal etwas von damals brauchen…
Hallo Gerry,
einerseits kann ich das gut verstehen, wenn jemand eine leere Wohnung und eine leere Festplatte bevorzugt – alles sauber und aufgeräumt, weil nichts zum aufräumen da ist. Andererseits bin ich sowieso der falsche, um darüber zu sinnieren, weil ich mir manchmal so vorkomme, als lebe ich mehr in der Vergangenheit als in der Gegenwart. Schon was meine Spielepräferenzen angeht, aber bei vielem anderen auch.
Ich habe sämtliche meiner Computer- und Spielefachzeitschriften aufgehoben und niemals irgendwas davon weggeworfen, weder die Atari ST-Magazine, noch die Amiga-Zeitschriften, oder meine zahlreichen Nintendo-, Sega-, PC- und was weiß ich noch Spielehefte. Bei jedem Umzug war das eine Qual, aber hinterher bin ich dennoch froh.
Früher hat man eben die Liebesbriefe seiner ersten großen Liebe aufgehoben. Heute wo niemand mehr Briefe schreibt, sind das entsprechend SMS, E-Mails, Chatprotokolle und Privatnachrichten in sozialen Netzwerken. Wobei eher die Wenigsten sich da die Arbeit machen, sowas nachträglich zu speichern, weil es ganz einfach Arbeit ist. Die Briefe dagegen lagen sowieso schon in einer Schachtel. Das mit dem Scannen des Handydisplays ist natürlich besonders kreativ ;)
Festplatten kann ich zur Not immer nachkaufen, Stauraum in der Wohnung leider nicht. Da müsste ich mir dann eine Lagerhalle dazumieten. Außerdem ist eines meiner Probleme mit den wachsenden Datenmengen, dass die immer schwieriger zu verwalten sind. Irgendwann lässt man es völlig, dann wandern die Daten unsortiert auf die Externe. Ich müsste mir wohl mal ein Jahr Zeit nehmen und meine digitalen Datengräber nach einem perfekten System sortieren, aber ich fürchte, das ist eine endlose Mission.
Im Prinzip stehe ich mit meiner Einstellung – ähnlich wie du – im Bekanntenkreis alleine da. Mit so einer Einmal-ex-und-hopp und Ist-Schnee-von-gestern-Philosophie komme ich aber nicht klar. Ich will alles lückenlos nachverfolgen können, was ich je an Daten produziert habe. Man weiß ja nie, wofür mans braucht.
Halb-off-topic: Hast du eigentlich das Irc-log noch, wo wir mal versucht haben Lateinhausaufgaben zu machen? ;)
Ach der gute Lateinunterricht beim Bentler. Das waren noch Zeiten. Marcus sedet et gaudet, Cornelia aegrogat. Mehr ist kaum hängengeblieben leider ;)
Aber unter Garantie habe ich das noch. Ich kann am Wochenende mal schauen ob ich was finde, dann schick ich es dir rüber.